Tourenlager Tschierv, 2015: Pulverschnee, Problembär und Mamma Lü

Das Val Müstair ist eine ruhige und abgelegene Gegend am Rand der Schweiz, umgeben von hohen Bergen, bewohnt von Bartgeiern und Steinböcken. Wenn nicht gerade ein Problembär aus Italien einwandert oder Dario Cologna – der berühmteste Sohn des Tals – zum Olympiasieg skatet geht es ruhig und friedlich zu und her im Münstertal. In der ersten Woche des Februars anno 2015 war es vorbei mit der Ruhe. 40 Mountainscouts überquerten den Ofenpass um das abgelegene Bergtal wärend einer Woche ins Mekka der Skitourengänger zu verwandeln. Vier Augenzeugen berichten von Begegnungen mit den Tüürlen aus dem Flachland.

Mamma Lü, ca 75 Jahre, Wirtin des Bären in Lü:

„Zum ersten Mal sah ich die Tourenskifahrer der Mountainscouts am Sonntag. Auf der Abfahrt vom Piz Muntet beehrten sie mich zum ersten Mal mit ihrem Besuch. Ihr Geschmack bei den Getränken war zwar etwas gewöhnungsbedürftig (Kafi Amaretto). Aber als fleissige Wirtin ist man ja flexiblel und richtet sich nach den Wünschen der Kunden. Zum Glück fand sich im Privatschrank noch eine Flasche der gewünschten Spirituose. Ich erzählte den Mountainscouts von den alten Zeiten in Lü. Als ich noch zu Fuss nach Sta. Maria in die Schule ging. 9 Kilometer hin und zurück. Oder von damals, als Lü noch die höchstgelegene Gemeinde der Schweiz war. Jetzt sind die Gemeinden im Val Müstair ja alle fusioniert. Die Gespräche der Tüürler kreisten um tolle Abfahrten, um Handy-Apps und sonniges Wetter auf den Gipfeln. Und immer wieder sprachen sie von einem gewissen „Ueli“. Der ist offenbar Tourenleiter beim SAC Pfannenstil und so etwas wie ein Idol der jungen Skitourengänger.

Einigen der Personen aus der Gruppe schien es bei mir zu gefallen. Jedenfalls standen sie am nächsten Abend schon wieder bei mir vor der Tür. Nach der Tour auf den Piz Dora stiegen sie extra nochmals hoch zu uns. Das hat mir dann schon etwas geschmeichelt. Am Donnerstag kamen die Mountainscouts dann nochmals zu später Stunde. Vollmondwanderung mit Glühwein. Eine lustige Truppe, diese jungen Leute“

Lumpatz, erster Bär im Val Müstair im Jahr 2005, ca 11 Jahre:

„Die Skitourenfahrer haben mich zwar nicht gesehen – aber ich sie. Alle meinten, dass ich in der Winterruhe sei oder schon lange wieder abgewandert aus dem Münstertal. Aber ich hatte mein Winterquartier gleich beim Lagerhaus der Mountainscouts bezogen. Bei dem Lärm war an eine Winterruhe auch gar nicht zu denken. Mit ziemlich veralteten Tonträgern (Kassettengerät) veranstalteten sie einen Höllenkrach. Für mich als Bär waren die Ländler-Klänge aber schön anzuhören. Ich bin ja eher ein naturverbundener Typ. Obwohl: Von der Natur hatten sie teilweise nicht so viel Ahnung. Einen Problembären haben sie mich genannt – dabei bin ich ja wirklich nicht aufdringlich. Abends kamen immer sehr leckere Gerüche aus dem Lagerhaus – kochen können sie, die Mountainscouts! Und trotzdem blieb ich brav in meiner Höhle und habe nicht mal den weggeworfenen Sellerie im Schnee stibizt.“

Jon Gross, Wildhüter Val Müstair:

„Die Unterländer mögen Geschichten über Tieren. Also habe ich die Truppe der Mountainscouts am Mittwoch besucht und ihnen über die Wildtiere im Val Müstair erzählt. Mein Trick dabei um besonders auch die jungen Männer zu fesseln: Ich erzähle bei jedem Tier vom Paarungsverhalten und zeige dazu ein passendes Bild das ich selber im Feld geschossen habe. Kombiniert mit meinem Bündner-Akzent schaffe ich es so immer, die Zuschauer zu fesseln. Wenn ich von „änesto“ sprach, dann ging ein Raunen durch den Raum. Selbstverständlich war auch der Bär ein Thema, der uns seit 2005 immer wieder besucht. Mir gelang im Val Mora ein Schnappschuss des Tieres aus naher Distanz. Ich muss zugeben, auch wenn diese Zürcher normalerweise wenig Ahnung vom Leben in den Bergen haben: Diese Mountainscouts wissen, wie man Bündner Spezialitäten kocht. Zum Znacht gabs Capuns und Gerstensuppe. Und die Nusstourte welche mir überreicht wurde, war wirklich spitze“

Armin Alpendohle, Znünigeier:

„Ich traf die Mountainscouts auf den Gipfeln. Dort ist mein Revier, dort warte ich auf Überbleibsel von Lunch. Irgendwie komisch, diese Menschen. Da laufen sie stundenlang einen Berg hoch. Kaum sind sie oben ziehen sie sich möglichst viel Kleidung über und klagen über Kälte. Dann schnallen sie sich Rutschgeräte unter die Füsse und fahren wieder davon. Manchmal flog ich ihnen einige Minuten nach. Wenn der Schnee tief und flockig war, dann fingen sie an zu jodeln und jauchzen. Kamen Steine wie beispielsweise unterhalb des Piz Dora im Wald, dann fingen sie an zu fluchen. Und schauten mit betretenen Mienen auf die Unterseite ihrer Rutschgeräte. Es waren teilweise ziemlich viele Leute am Berg unterwegs. Es gab da eine so genannte Ovi-Gruppe. Diese war immer ziemlich schnell, obwohl sie getreu dem Motto „Mit Ovi chaschs nöd besser aber länger“ eigentlich langsam hätte sein sollen. Touren haben sie viele gemacht, obwohl immer Gefahrenstufe „Erheblich“ herrschte. Ich glaube, das war auch dank dem weisen Mann den sie „Rolf“ gerufen haben. Der versteht für einen Menschen ziemlich viel von Bergen.

Auch eine Gruppe des SAC Pfannenstil war oft an denselben Bergen unterwegs wie die Mountainscouts. Das Verhältnis zwischen den beiden Gruppen habe ich bis am Schluss nicht ganz verstanden. Manchmal sprach man fast ehrfürchtig von einander – besonders von einem gewissen Ueli. Manchmal ging man aber auch eher auf Distanz. Ich glaube, die Skitourengänger haben auch so etwas wie ein Revier. Wenn die einen das Gebiet des anderen betreten, dann kommt es manchmal auch zu Drohgebärden. Aber alles in allem sind sie eine friedliche Spezies, diese Mountainscouts.“